23.09.2025 – Berlin-Buch
Rote Backsteinhäuser, unterbrochen von Bäumen und grünen Wiesen. Auf den ersten Blick erinnert es gar nicht wirklich an ein Krankenhaus. Doch genau dort sind wir – im HELIOS Klinikum Berlin-Buch. Erleichtert parken wir gegen 9 Uhr neben unserem geliebten Nightliner. Da es dort nur 18 Schlafplätze gibt und ehrenamtliche Tätigkeit stets einen großen Organisationsaufwand zwischen Beruf und Verein erfordert, reisen so oft wie möglich Teammitglieder, wie wir heute, nur als Tagesgäste an. Nach einer wahnsinnig herzlichen Begrüßung inkl. großer Wiedersehensfreude (viele von uns haben sich seit der letzten Tour, vor einem Jahr, nicht mehr sehen können), begann so gleich das Tagesmeeting. Abläufe, letzte Details, Gruppeneinteilungen und die Besonderheiten des Tages werden besprochen und ich erfahre, dass ich heute u.a. das Cateringteam unterstützen darf. Neben den klassischen Aufgaben, liegt auch noch eine besondere Aufgabe vor mir. Die Firma Meinl, eine der führenden Adressen für Percussion-Instrumente aller Art, ist nämlich seit dieser Tour Teil der Familie und hat uns eine riesige Kiste mit sogenannten Shake-Eggs zur Verfügung gestellt. Schnell wuchs eine Idee – warum nicht mit den Kids gemeinsam Musik machen, um so die Wartezeiten zu überbrücken bis letztlich die Künstler auf der Station eintreffen und das Hauptkonzert beginnen kann? Der Gedanke gefiel mir auf Anhieb und so tüftelte ich in den Tagen vor der Tour ein pädagogisches Konzept mit vielen verschiedenen möglichen Übungen aus. Als Musikerin geht einem natürlich jedes Mal das Herz auf, wenn man eben auch aktiv mit den Kids Musik machen darf. Versorgt mit allen Informationen machte sich so dann ein Großteil des Teams auf, um den Trailer aufzuladen. Dutzende Cases, riesige Tüten voller Kuscheltiere und Kartons mussten ihren Weg in die Klinik finden. An einem Konzerttag benötigen wir mindestens zwei Räume – einen Raum zum Packen der unzähligen Geschenktüten und einen Aufenthaltsraum für unser Team. Während die einen sich also fleißig an das Verpacken der Sachspenden machten, nahmen wir das angelieferte Catering in Empfang, so dass sich alle in der Mittagspause stärken konnten. In all dem fleißigen Trubel steckte nun auch einer unserer heutigen Künstler die Nase in die Tür. Chris, Sänger der Band Kuult aus Essen, begrüßte alle herzlich und freute sich schon sehr auf sein zweites Klinikkonzert mit uns. Der großen Freude schlossen sich auch unsere anderen Künstler an. Kuult- Gitarrist Andy, Sängerin Mandy Capristo und ihre Gitarristin Anki, sowie Sängerin Anna Grey stießen nun auch zu unserem Team. Für diese Vier würde es das erste Klinikkonzert sein, doch ihre Herzlichkeit ließ es sich anfühlen, wie das Zusammenkommen einer großen Familie. Nach dem Essen schlüpften wir alle in unsere Teamshirts. Handpuppen wurden verteilt und die Anspannung war nun wirklich spürbar. Nach dem traditionellen Teamfoto konnte es nun endlich losgehen. Für mich war die Kinder-Onkologie die erste Station des Tages und, obwohl sich im Vorfeld immer ein beklemmendes Gefühl einstellte, war dieses nach dem ersten Anblick der vorfreudigen Gesichter schnell verflogen. Es ist so unfassbar erfüllend und lehrreich zu sehen, wie diese vom Schicksal so gebeutelten kleinen Wesen unsere Anwesenheit und die besonderen Momente aufsaugen und mit solch einer Lebensfreude erfüllen, das man selbst in eine große Demut verfällt. Und genau auf dieser Station sollte auch unsere Shake-Egg Premiere stattfinden. Aus unserem „Zauberbeutel“ konnte sich jeder ein Ei ziehen und gemeinsam machten wir uns dann auf Erkundungstour, welche Zauberkräfte diese Eier denn nun haben würden. Eine kleine Geräusch-Geschichte führte uns in unserer Fantasie auf einen gemütlichen Waldspaziergang und gemeinsam fanden wir heraus, wie es klingen würde, wenn die unterschiedlichsten Tiere die Eier rasseln lassen. Alle Kinder waren mit Feuereifer dabei und so war es ein großer Spaß gemeinsam mit unserem Handpuppenchor ein fröhliches „Hakuna Matata“ über die Flure zu singen und die Künstler mit einem lauten „Gerassel“ zu empfangen. Während Kuult und Mandy Capristo mit energiereichen Songs, den ganzen Raum zu einer kleinen Party machten, schlug Anna Grey ganz leise Töne an. Und eben genau diese sorgte auch für den ersten Herzschlag-Moment des Tages, als sie ihren ersten Song mit tränenreicher Stimme kurz unterbrechen musste, um einer jungen Mutter ihren Respekt auszusprechen. Diese Verbindung zu sehen, sorgte bei allen Anwesenden für den berühmten Kloß im Hals und doch gab das Lächeln, das unter den Tränen der jungen Frau hervor blitzte, einem das Gefühl von Hoffnung, Verbundenheit und Freude für diesen besonderen Moment. Erfüllt von den Eindrücken der ersten drei Stationen ging es, nach einer kurzen Kaffee-Unterbrechung, in den zweiten Teil des Tages. Wenn eines auf Tour immer ganz deutlich wird, dann ist es das Wissen, nichts im Leben für selbstverständlich zu nehmen und jeden noch so kleinen positiven Moment zu schätzen und zu genießen. Hatten bis jetzt nur einzelne Tränen den Weg über unsere Wangen gefunden, brachen auf der Kinder- und Neo-Intensivstation dann endgültig alle Dämme. Schon im Vorfeld war klar – hier müssen wir die ganz leisen Töne anstimmen. Und das machten die Künstler großartig. Gemeinsam mit dem Pflegepersonal, das jeden Tag so Unfassbares zu leisten hat, genossen wir diese ganz besonderen Momente. Ich beobachtete einen Vater, dessen Lippen die ganze Zeit von einem seligen Lächeln umspielt wurden. Sein Baby lauschte ganz aufmerksam der Musik, nur um uns am Ende, als es eines unserer Shake-Eggs geschenkt bekam, allen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, indem das kleine Wesen mit leuchtenden Augen motiviert und freudig rasselte. Musik ist genau in solchen Momenten der zarte Kleber, der sich auf die geschundenen Herzen legt und der Seele erlaubt zu fliegen und die Leichtigkeit zu genießen, die sie teilweise lange nicht mehr spüren konnte.
Den Abschluss machte dann unser größtes Konzert des Tages. Gemeinsam mit ca. 30 Kindern und Jugendlichen aus der Kinder-und Jugendpsychiatrie wurde nochmal eine ordentliche Party gezündet. Als Kuult-Sänger Chris die ersten Töne anstimmte, gab es in der ersten Reihe große Augen bei zwei kleinen Jungen, die dann wie verzaubert an seinen Lippen hingen und sich kaum noch halten konnten. Als Mandy Capristo mit „Ain’t no Mountain high enough“ einen Motivationsschub in den Raum sprühte, fiel mir in der hintersten Ecke eine Mutter ins Auge. Ihre Augen waren geschlossen und Tränen rollten ihr über die Wangen. Auf ihren Lippen war ein leichtes Lächeln zu erkennen und ich konnte spüren, wie sehr sie den Moment genoss. Und wieder war es am Ende Anna Grey, die auch das letzte Eis zum Schmelzen brachte, indem sie den Kindern sagte, dass sie vor geraumer Zeit ein Teil von ihnen war und dass dies nur eine Momentaufnahme ist, auf dem Weg in ein Leben was noch Großes mit ihnen vorhat. Nach einer fulminanten Zugabe von allen Künstlern gemeinsam, war es nun Zeit die Geschenktüten zu verteilen. Ich hatte mir zwei 13-jährige Mädchen ausgespäht, die die ganze Zeit recht verhalten in einer Ecke gesessen hatten. „Ihr seid so unfassbar stark und wisst ihr was? Ihr seid vor allem nicht allein.“ Dann gab es kein Halten mehr und unter Tränen fielen wir uns in die Arme.
Wieder zurück im Aufenthaltsraum war die Stimmung bei uns allen losgelöst, die Sachspenden wurden wieder in die Cases gepackt und in unseren Trailer geladen. Die Verabschiedung von unseren Künstlern war sehr herzlich und man konnte spüren wie ehrfürchtig jeder von ihnen diesen Tag kaum fassen und vermutlich ewig in Erinnerung behalten würde. Für uns Tagesgäste stand nun noch die zweistündige Heimfahrt an und ich muss gestehen, das fühlt sich tatsächlich jedes Mal ein bisschen an als würde man seine Familie verlassen müssen. Wir alle sind mittlerweile komplett in Deutschland verteilt und sehr wahrscheinlich hätten sich unsere Wege niemals gekreuzt, wenn wir nicht alle so unendlich viel Platz in unseren Herzen hätten für diese eine Sache. Ich bin dankbar – dankbar für so viel Ehrfurcht, Empathie und Liebe. Dieses Team funktioniert nur so gut, weil wir wissen, dass wir gemeinsam stark sind und das jeder von uns, die Kraft hat, Liebe zu geben und anderen Menschen positive Energie zu schicken. Und am Ende des Tages sind es doch die Kinder selbst, von denen wir so vieles lernen können. Den Moment zu schätzen, Lebensmut zu haben und Leichtigkeit zu spüren und zu genießen.
In tiefer, demütiger Dankbarkeit.
Antje
Fotos: Julia Tiemann & Max Saeling
Video: Calvin Müller